Verjährungsgefahr bei überhöhter Vorfälligkeitsentschädigung

Fachartikel

Zweifelsfragen der Entschädigungsberechnung

Wiederanlage in thesaurierenden oder ausschüttenden Wertpapieren

Auch in bezug auf die Wiederanlagemöglichkeiten in Hypothekenpfandbriefen orientiert sich der BGH erfreulicherweise am Zahlungsstrommodell. Demzufolge ist auch für das einzelne Wertpapier, das die gerade in Betracht gezogene Schadensposition ausgleicht, zunächst über dessen Nominalzinssatz der Zahlungsstrom aufzustellen. So könnte bspw. ein Hypothekenpfandbrief mit noch zweijähriger Laufzeit und einer Verzinsung von 4 % den nachfolgenden Zahlungsstrom auslösen.

Vorgang Datum Betrag Kapital
Ankauf des Pfandbriefs 31.12.2000 - 100.000 100.000
Zinszahlung 31.12.2001 + 4.000 100.000
Zinszahlung und Rückzahlung 31.12.2002 + 104.000 100.000

Es handelt sich um ein jährlich ausschüttendes Wertpapier mit einer effektiven Jahresverzinsung von 4 %. Ein zweijähriges thesaurierendes Wertpapier mit einem nominalen Zinssatz von 4 % trägt ebenfalls eine effektiv 4 %-ige Verzinsung:

Vorgang Datum Betrag Kapital
Ankauf des Pfandbriefs 31.12.2000 - 100.000 100.000
Zinszahlung 31.12.2001 entfällt 104.000
Zinszahlung und Rückzahlung 31.12.2002 + 108.160 108.160

Beide Wertpapiere tragen somit einen Nominal- wie auch einen Effektivzinssatz von 4 %. Für die bankwirtschaftliche Praxis kann unterstellt werden, daß die Mehrzahl der emittierten Hypothekenpfandbriefe sich als jährlich ausschüttende Papiere präsentieren. Insoweit wäre der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung, welche die realen Wiederanlagemöglichkeiten so weit möglich abbilden sollte, jährlich ausschüttende Papiere zugrundezulegen. Auch der BGH scheint diese Auffassung zu teilen, denn seine Ausführungen zur Heranziehung der Wiederanlagemöglichkeiten stellt er unter die ausdrückliche Prämisse einer jährlichen Zinszahlung.

Die Unterschiede im rechnerischen Ergebnis der Vorfälligkeitsermittlung können je nach Auswahl der Wiederanlage in thesaurierenden oder jährlich ausschüttenden Papiere erheblich sein.

Beispiel: Rückzahlung eines Darlehens am 31.12.2000, Kapitalstand: 100.000 €, Nominalzinssatz: 5 %, Tilgung: 3 %, jährlich nachschüssige Zins- und Tilgungsleistungen: 8.000 €.

Wiederanlagemöglichkeiten:

1. Hypothekenpfandbrief über 2 Jahre zu nominal und effektiv 4%.

2. Hypothekenpfandbrief über 1 Jahr zu nominal und effektiv 3%.

Der Tilgungsplan des Darlehens lautet:

Datum Restkapital Rate Zinsen Tilgung
31.12.2000 100.000
31.12.2001 97.000 8.000 5.000 3.000
31.12.2002 93.850 8.000 4.850 3.150

Der ausfallende Zahlungsstrom lautet damit:

- 100.00031.12.2000 + 8.00031.12.2001 + 101.85031.12.2002

Sofern dieser Zahlungsausfall durch eine Anlage in thesaurierende Wertpapiere auszugleichen ist, wird für den Ausgleich des Schadens per 31.12.2002 eine Anlagesumme benötigt, die in zwei Jahren auf 101.850 € anwächst. Die Aufgabe lautet somit:

X * 1,04 ² = 101.850 €

Aufgelöst nach X ergibt sich: X = 101.850 € / 1,04 ² = 94.166,05 €. Am 31.12.2000 war also ein Kapital von 94.166,05 € anzulegen, um die ausfallenden Zahlungen des 31.12.2002 zu kompensieren. Zum Ausgleich des Schadens per 31.12.2001 ist der einjährige Hypothekenpfandbrief heranzuziehen: Y * 1,03 = 8.000 €. Es folgt: Y = 8.000 € / 1,03 = 7.766,99 €. Zum Ausgleich des Schadens per 31.12.2000 sind somit Anlagen im Wert von 94.166,05 € + 7.766,99 € = 101.933,04 € zu tätigen. Die Bank erhält jedoch nur 100.000 € vorzeitig zurück. Die Vorfälligkeitsentschädigung vor Risikoprämien- und Verwaltungskostenabzug sowie Bearbeitungskostenaufschlag beträgt somit: 1.933,04 €.

Die soeben vorgestellte Methode entspricht der einfachen Diskontierung des Vorfälligkeitsschadens nach der sog. Barwert- oder Kapitalwertmethode. Sie basiert auf der rechnerischen Prämisse einer Wiederanlage in thesaurierenden Wertpapieren.

Anders stellt sich die Situation dar, wenn jährlich ausschüttende Titel der Berechnung zugrundelegt werden. Wiederum geht es zunächst um den Ausgleich des Schadens, der sich zum 31.12.2002 einstellen würde. Aus der Rückzahlung des jährlich ausschüttenden zweijährigen Hypothekenpfandbriefs ist somit ein Betrag von 101.850 € zu erwirtschaften. Zum Ausgleich dieses Schadens stehen der Rückzahlungsbetrag selbst sowie die jährliche Zinszahlung zur Verfügung:

X * 1,04 = 101.850 €

Aufgelöst nach X lautet der Anlagebetrag: X = 101.850 € / 1,04 = 97.932,69 €. Zum Ausgleich der Schadensposition mit ausschüttenden Wertpapieren wird somit ein höherer Anlagebetrag benötigt, weil die Zinserträge nicht bis zum Ende des zweiten Jahres einbehalten werden. Zu berücksichtigen ist jedoch, daß das zweijährige Papier bereits nach einem Jahr einen Betrag von 97.932,69 € * 0,04 = 3.917,31 € an Zinsen ausschüttet. Mit diesem Zinsertrag kann ein Teil des Zahlungsausfalls per 31.12.2001 kompensiert werden, so daß nur noch ein auszugleichender Zahlungsausfall von 8.000 € - 3.917,31 € = 4.082,69 € verbleibt.

Der verbleibende Zahlungsausfall wird mit dem einjährigen Hypothekenpfandbrief ausgeglichen: Y * 1,03 = 4.082,69 €. Es folgt: Y = 4.082,69 € / 1,03 = 3.963,78 €. Damit beträgt die Vorfälligkeitsentschädigung vor Risiko- und Verwaltungskostenabzug sowie Bearbeitungskostenaufschlag:

97.932,69 € + 3.963,78 € - 100.000,00 € = 1.896,47.

Sie liegt somit um 36,57 € oder ca. 2 % unter der mit thesaurierenden Wertpapieren ermittelten Vorfälligkeitsentschädigung.

Der Grund für diese Abweichung zugunsten des Darlehensnehmers findet sich in der jährlichen Ausschüttung. Ein Teil von 3.917,31 € des ersten Ratenausfalls von 8.000 € wird mit 4 % verzinst. Die erste Jahreszinszahlung aus dem zweijährigen Hypothekendarlehen erlaubt diese günstige Wiederanlage. Dieser Anlagevorteil kann dagegen bei thesaurierenden Papieren nicht realisiert werden.

Die Unterschiede zwischen beiden Vorfälligkeitsentschädigungsberechnungen verschwinden, wenn die Zinsstruktur völlig flach ist, wenn also im vorgestellten Beispiel einjährige und zweijährige Kapitalmarkttitel die gleiche Rendite aufweisen. Dagegen treten gravierende Unterschiede im rechnerischen Ergebnis auf, sobald die Zinsstruktur besonders steil ist: kurzfristige Papiere also geringe Renditen, langfristige dagegen sehr hohe Renditen aufweisen. Unter einer inversen Zinsstruktur produziert eine Berechnung unter der Prämisse thesaurierender Wertpapiere die geringere Entschädigung.

Die Abweichungen zwischen beiden Berechnungsarten potenzieren sich mit der Länge des Zeitraums, für den eine Vorfälligkeitsentschädigung verlangt werden darf. In der Praxis ergaben sich bereits Abweichungen zwischen den Berechnungen unter der einen oder anderen Prämisse von bis zu 10 % bezogen auf die höhere der beiden Zinsentschädigungen.

Autor
Prof. Dr. Klaus Wehrt
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