EU-Kommission beanstandet Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs

Fachartikel

Hunderttausende deutsche Darlehensnehmer und Erwerber von „Schrottimmobilien“, die zur Steuerersparnis und Altersvorsorge erworben wurden, sind von der Zwangsvollstreckung durch Banken und Insolvenz bedroht.

Jetzt bekommen Verbraucher Unterstützung von der EU-Kommission. Die Stellungnahme der Kommission ergeht in einem Vorlageverfahren des Landgerichts Bochum an den Europäischen Gerichtshof. Die Kommission wirft dem Bundesgerichtshof (BGH) vor, die deutschen Vorschriften über die Rückabwicklung des Darlehensvertrages formal und mechanisch anzuwenden. Der Gedanke des Verbraucherschutzes bliebe auf der Strecke. Die Kommission fordert eine Rückabwicklung, die es dem Verbraucher ermöglicht, sich ohne Schaden vom Vertrag zu lösen. Da die Rückzahlung des Darlehensbetrags nach dem Widerruf für den Darlehensnehmer wirtschaftlich unmöglich sei, weil die erworbenen Immobilien fast wertlos sind, sei der Verbraucher nicht zur Rückzahlung des Darlehens, sondern nur zur Übereignung der finanzierten Wohnung an die Bank verpflichtet.

In den 90er Jahren setzten häufig Strukturvertriebe gezielt Vermittler ein, um Kleinanleger mit dem Argument Steuern zu sparen zum Erwerb von Eigentumswohnungen zu überreden. Die Kontaktaufnahme erfolgte telefonisch oder persönlich am Arbeitsplatz, zu Hause oder auf öffentlichen Plätzen (sog. Haustürgeschäfte). Viele Banken finanzierten die Wohnungen zu 100%. Vermittler versprachen, daß Miete und Steuerersparnis die monatlich an die Bank auf das Darlehen zu zahlende Rate übersteige. Auf diese Weise käme auch der Kleinanleger in den Genuß einer sicheren Altersversorgung. Vermittler nutzten das Problem unsicherer Renten für eigene Zwecke aus.

Tatsächlich war auch der Kaufpreis der so erworbenen Immobilien in vielen Fällen sittenwidrig überhöht. Heute sind die Wohnungen überhaupt nicht oder nur zu einem Bruchteil des ursprünglichen Kaufpreises zu verkaufen. Verbraucher erzielen nicht selten bei einem späteren Verkauf lediglich 10 – 20 % der finanzierten Gesamtbelastung, die vorab regelmäßig durch deftige Provisionen der Vermittler in schwindelerregende Höhen getrieben wurde. In der Folgezeit bleiben sie auf exorbitant hohen Darlehensforderungen der Banken sitzen. Entgangene Mieten und geringe Steuerersparnis führen dann dazu, daß Verbraucher in erhebliche Zahlungsschwierigkeiten geraten.

Die Geschädigten hofften lange auf die Hilfe deutscher Gerichte. Da sie zumeist in Haustürsituationen und von Bekannten, die persönliches Vertrauen in Anspruch nahmen, überrumpelt wurden, setzten sie ihre Hoffnungen auf das Haustürwiderrufsgesetz. Haustürgeschäfte können innerhalb einer relativ kurzen Frist widerrufen werden. Soweit keine Belehrung über das Widerrufsrecht erteilt wurde, können laufende Darlehensverträgen auch noch heute jederzeit widerrufen werden. Am 09.04.2002 hatte der BGH entschieden, daß das Widerrufsrecht auch bei grundpfandrechtlich gesicherten Darlehen Anwendung findet. Die fehlende Widerrufsbelehrung führt damit nach Erklärung des Widerrufs zur Unwirksamkeit des Darlehensvertrags, der Kaufvertrag besteht jedoch nach der vom BGH bislang vertretenen „Trennungstheorie“ fort. Darlehens- und Kaufvertrag seien zwei separate Geschäfte. Der BGH räumt andererseits ein, daß der Kaufvertrag aus anderen Gründen z. B. bei einem Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz oder einem drastisch überhöhten Kaufpreis unwirksam sein kann. Zu günstigeren Ergebnissen kommt der BGH mithin, wenn sämtliche Verträge über sog. Treuhänder geschlossen wurden und die dem Treuhänder übertragenen Tätigkeiten und weit gefaßten Vollmachten die gewerbliche und geschäftsmäßige Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten beinhalteten. Hierin liegt ein klarer Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz.

Der Verbraucher schuldet zumindest nach Auffassung des BGH - von Ausnahmefällen einmal abgesehen - zur Zeit nach dem Widerruf die gesamte Darlehenssumme zzgl. einer marktgerechten Verzinsung, wenn auch ohne den Bankgewinn. Damit wird der Schutzzweck der Widerrufsregelung nach dem Haustürwiderrufsgesetz nicht erreicht, was die EU-Kommission beanstandet.

Die Rechtsauffassung des BGH zur Rückabwicklung von Kreditverträgen hat inzwischen vehementen Widerspruch in der Rechtswissenschaft, bei Verbrauchern und Gerichten hervorgerufen. Nunmehr fordert die EU-Kommission angesichts bestehender Rechtsunsicherheit und mangelhaftem Verbraucherschutz eine baldige Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs. Es sollte nicht länger hingenommen werden, daß der BGH das Gemeinschaftsrecht ignoriert und damit tatenlos zusieht, wie einige hunderttausend deutsche Verbraucher von der Zwangsvollstreckung durch Banken bedroht sind und in die private Insolvenz getrieben werden. Die Bitte der EU-Kommission an den Europäischen Gerichtshof, ein baldiges Urteil und eine notwendige Klärung herbeizuführen, war dringend geboten und sollte kurzfristig im Sinne eines effektiven Verbraucherschutzes umgesetzt werden.

Autor
Angela Wehrt-Sierwald
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