Verjährungsgefahr bei überhöhter Vorfälligkeitsentschädigung

Fachartikel

Der Berechnungsstichtag für die Entschädigungsermittlung

Kündigungszeitpunkt als Stichtag für die Entschädigungskalkulation

Gilt der Zeitpunkt der Kündigung als Stichtag für die Kalkulation der Vorfälligkeitsentschädigung, so sind dem Darlehensgeber Anlagegeschäfte zu unterstellen, für die ihm das Kapital noch fehlt. Für die noch fehlende Valuta und auch für die mit den entsprechenden Berechnungen resultierende Vorfälligkeitsentschädigung darf der Darlehensgeber einen Verzugsschaden geltend machen, der sich bei abstrakter Berechnungsweise nach dem gewichteten Bruttosollzinssatz richtet, der aber auch konkret berechnet werden kann.

Konkrete Schadensberechnung:
Unter einer konkreten Schadensberechnung stellt sich die Situation mit den Daten des obigen Beispiels wie folgt dar:

Entscheidet sich die Bank für den Aktiv-Passiv-Vergleich, so wird sie eine Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von 3,8 Prozentpunkten geltend machen. Mit der Wahl des Aktiv-Passiv-Vergleichs dokumentiert sie, daß ihr bei verspäteter Rückzahlung der Valuta eine Wiederanlagemöglichkeit zu 6% entgeht. Mithin beträgt der Verzugszinssatz 6%. Die tatsächlich erzielte Zinskompensation beläuft sich somit auf 9,8%. Die verbleibende Differenz zwischen dem Vertragszinssatz und dem Zinsausgleich von 0,2 Prozentpunkten findet ihre Begründung darin, daß eine unsichere Anlage gegen eine sichere getauscht wurde. Mit dieser Art der Berechnung wird das Erfüllungsinteresse für den Zeitraum zwischen t1 und t2 kompensiert.

Aktiv-Passiv-Vergleich
Aktiv-Passiv-Vergleich

In t2 erfolgt die Rückzahlung der Valuta. Zu welchem Zinssatz das Kapital für die Restlaufzeit bis zum Ende der Zinsbindungsfrist angelegt werden kann, hängt von den marktlichen Gegebenheiten ab. Ist das Marktzinsniveau weiter abgesunken, so wird die Anlagerendite den Satz von 6% möglicherweise unterschreiten. Dann bleibt die Bank für den Zeitraum zwischen t2 und t3 unterkompensiert. Ist dagegen das Marktzinsniveau angestiegen, so erzielt sie einen Zusatzgewinn, der ihr Erfüllungsinteresse aus dem Kreditvertrag überschreitet.

Der Rückzahlungszeitpunkt ist eine für den Darlehensnehmer beeinflußbare Größe. Er wird versuchen, den Rückzahlungszeitpunkt so festzulegen, daß er seinerseits Zinsvorteile realisieren kann. Dieser Fall tritt nur auf, wenn das Zinsniveau zwischenzeitlich angestiegen ist, bspw. von 6 auf 7%. Seine Schuld steigt dann aufgrund des Verzugszinses mit der Rate von 6%, der zurückgehaltene Rückzahlungsbetrag verzinst sich dagegen mit 7%, ein einprozentiger Zinsvorteil. Bei gesunkenem Zinsniveau wird der Schuldner dagegen zügig zurückzahlen. Opfer des gesunkenen Zinsniveaus wird damit der Kreditgeber, der unterhalb seines Erfüllungsinteresses abgefunden wird.

Ein Ersatz des Erfüllungsinteresses kann praktisch nur dadurch gewährleistet werden, daß zum Zeitpunkt der Rückzahlung eine zweite Zinsentschädigungskalkulation aufgemacht wird. In diesem Fall ist der sechsprozentige Wiederanlagezinssatz mit den tatsächlichen Wiederanlagemöglichkeiten auf dem Pfandbriefmarkt zum Zeitpunkt t2 abzugleichen, um einen Ersatz des Erfüllungsinteresses auch für den Zeitraum zwischen t2 und t3 zu erreichen.

Erfolgt die konkrete Schadensberechnung mit einem Aktiv-Aktiv-Vergleich, so gilt als tatsächlich entgangene Wiederanlagemöglichkeit ein Kreditgeschäft zu einem Zinssatz von 7%. Die Vorfälligkeitsentschädigung überbrückt sodann im Zeitraum bis zur Rückzahlung eine Zinsspanne von 3,5 Prozentpunkten, der Verzugszinssatz eine von 7 Prozentpunkten. Damit ist der Kreditgeber überkompensiert. Diese Überkompensation tritt ein, weil der Darlehensgeber einerseits mit der Vorfälligkeitsentschädigung die Gewinnmarge aus dem gekündigten Darlehen, andererseits aber auch die Gewinnmarge aus dem Verzugskredit an den Schuldner für sich reklamieren darf. Der Darlehensnehmer entrichtet somit für das gleiche Darlehenskapital gleich zweimal die Gewinnmarge – in der Vorfälligkeitsentschädigung und im Verzugskredit.

Aktiv-Aktiv-Vergleich
Aktiv-Aktiv-Vergleich

In t2 wird der Verzugskredit zu 7% entschädigungsfrei zurückgeführt. Für den Darlehensgeber stellen sich sodann wieder die bereits oben beschriebenen Probleme. Bei gesunkenem Zinsniveau läuft der Kreditgeber



Abstrakte Schadensberechnung:
Bei der abstrakten Schadensberechnung gilt als Verzugszinssatz der gewichtete Bruttosollzinssatz. Dazu werden die Geschäftsarten des Darlehensgebers nach ihren jeweiligen volumenmäßigen Anteilen am insgesamt ausgereichten Kreditvolumen gewichtet. Diese Gewichte werden mit den zu ihnen korrespondierenden Zinssätzen aus der Bundesbankstatistik multipliziert. Der sich so ergebende Durchschnittszins stellt den Verzugszinssatz dar. Dieser Zinssatz ist variabel. Er verändert sich monatlich, eben weil die Statistik der Bundesbank ganz überwiegend eine Monatsstatistik ist.

Übertragen auf das Beispiel ergibt sich damit Folgendes: Im ersten Zinszeitraum zwischen der ausgesprochenen Kündigung und der Rückzahlung erzielt der Kreditgeber eine Vorfälligkeitsentschädigung, die je nach Berechnungsweise eine Zinsspanne von 3,5-3,8 Prozentpunkten überdeckt. Die weitere Kompensation des Erfüllungsinteresses bleibt für den Kreditgeber auch innerhalb dieses ersten Zeitraums unsicher. Bei fallenden Zinsen ist das Erfüllungsinteresse gefährdet, bei steigenden Zinsen dagegen überschritten. Der Darlehensgeber ist insoweit Opfer der sich einstellenden Zinsentwicklung.

Abstrakte Schadensberechnung
Abstrakte Schadensberechnung

Bezogen auf den zweiten Zinszeitraum nach der Rückzahlung bleibt der vollständige Ersatz des Erfüllungsinteresses ebenfalls unsicher. Der einzige Unterschied zum ersten Zinszeitraum besteht darin, daß nunmehr der Darlehensgeber sein Glück selbst in die Hand nimmt und im Rahmen der marktlichen Gegebenheiten selbst nach lukrativen Anlagechancen Ausschau hält, anstatt die Verzinsung seiner Forderung selbst nach irgendwelchen monatlichen Bruttosollzinsberechnungen taxieren zu lassen.

Zu betonen bleibt, daß ein ungünstiges Ergebnis nach abstrakter Schadensberechnung stets durch ein günstigeres entsprechend der konkreten Berechnung aufgebessert werden kann.

Autor
Prof. Dr. Klaus Wehrt
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