Verjährungsgefahr bei überhöhter Vorfälligkeitsentschädigung

Fachartikel

Die Prämissen der Vorfälligkeitsentschädigungskalkulation gemäß höchstrichterlicher Rechtsprechung

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung knüpfte an das BGH-Urteil zur Nichtabnahmeentschädigung aus dem Jahr 1991 an. Die Begriffe „Zinsverschlechterungsschaden“ und „Zinsmargenschaden“ wurden in diesem Urteil geprägt. Das Urteil sprach insoweit von einem Wahlrecht des Kreditinstituts, den Zinsmargen- oder den Zinsverschlechterungsschaden verlangen zu dürfen. Gestritten wurde darüber, ob diese beiden Positionen nebeneinander – also kumulativ – geltend gemacht werden können oder nur separat – also alternativ – verlangt werden dürfen. Mit Urteil vom Juli 1997 beendete der BGH die Diskussion, indem er das Wahlrecht der Bank neu formulierte: Dieses sollte sich künftig darauf beziehen, entweder die Vorfälligkeitsentschädigung dadurch zu ermitteln, daß mit einer Wiederausleihemöglichkeit in Kredit verglichen werde oder mit einer Wiederanlagemöglichkeit in Öffentlichen Anleihen. Soweit sich das Kreditinstitut für die erste Möglichkeit der Zinsschadensberechnung entscheide, sollte ihm über den reinen Zinsschaden, determiniert durch die gesunkenen Wiederausleihezinssätze, hinaus der Ersatz des entgangenen Gewinns aus dem Ursprungsgeschäft zustehen: Zinsverschlechterungs- plus Zinsmargenschaden. Unter der zweiten Berechnungsmöglichkeit decke dagegen die typische Differenz zwischen der vertraglich vereinbarten Darlehensverzinsung und einer Verzinsung in Öffentlichen Anleihen Zinsverschlechterungs- und Zinsmargenschaden gleichermaßen ab. Da in dieser Differenz überdies noch die Kosten der Darlehensverwaltung und des Rückzahlungsrisikos enthalten seien, habe die Bank die mit der Rückzahlung ersparten Kosten aus Darlehensverwaltung und Risiko an den Darlehensnehmer auszukehren.

Der große Streit um die Frage, ob Zinsverschlechterungsschaden und Zinsmargenschaden kumulativ oder alternativ geltend gemacht werden dürfen, fand damit ein Ende. Aber auch ein anderer, aus Sicht der Darlehensnehmer ebenso bedeutsamer Streit wurde beigelegt. Künftig durften sie davon ausgehen, daß sie im Falle der Verwertung Ihrer Immobilie oder dann, wenn sie einen umfangreicheren Kredit benötigen würden, als ihr jetziger Kreditgeber ihnen gewähren wollte, den Vertrag gegen Entschädigung würden so modifizieren können, daß sie sich von ihrer Darlehensschuld befreiten. Sie waren somit nicht länger an die Erbringung der regelmäßigen Zins- und Tilgungsleistungen gebunden. In der Vergangenheit fühlten sie sich gerade durch diese Pflicht zur Vertragseinhaltung in einer gegenüber ihren Kreditgebern besonders schwachen Position.

Die bankliche Praxis schöpfte das Wahlrecht bei der Entschädigungsberechnung, welches die beiden Grundsatzurteile vom Juli 1997 einräumten, dahingehend aus, daß fortan der Aktiv-Passiv-Vergleich – der Vergleich mit einer Wiederanlage in Öffentlichen Anleihen zum Maß der Dinge erhoben wurde. Allerdings bestanden über die Durchführung dieser Berechnungsweisen noch erhebliche Meinungsverschiedenheiten zwischen den Verbraucherschützern auf der einen Seite und den Kreditinstituten auf der anderen Seite. Noch ungeklärt blieben insbesondere die folgenden Fragen:

  1. Ist bei der Festlegung der Zinsdifferenz für die Schadensberechnung der effektive Vertragszinssatz oder der Nominalzinssatz des Darlehens mit der Rendite Öffentlicher Anleihen zu vergleichen? Insbesondere für die Berechnung der Zinsentschädigung bei Darlehen mit Disagio war die Antwort auf diese Frage von weitreichender Bedeutung.
  2. Ist bei der Wiederanlage auf den laufzeitkongruenten Vergleich mit der Rendite einer Öffentlichen Anleihe, deren Laufzeit der Restlaufzeit des abzulösenden Darlehens entspricht, abzustellen, oder sind die einzelnen ausfallenden Zins- und Tilgungsleistungen laufzeitkongruent durch die Wiederanlage in Öffentlichen Anleihen (sog. Staffelzinssätze) zu kompensieren?
  3. Wie hoch sind die zutreffenden Ansätze für die eingesparten Verwaltungs- und Risikokosten?

Ein Großteil dieser noch bestehenden rechnerischen Unsicherheiten räumte der BGH mit Urteil vom November 2000 aus. Er entschied sich dabei für eine sich an das Zahlungsstrommodell anlehnende Berechnungsweise und bewies damit finanzmathematischen Sachverstand. Weil der Kreditgeber den Tilgungsplan des abzulösenden Darlehens nach dem Nominalzinssatz entwickelt, vermag auch nur dieser Zinssatz den ausfallenden Zahlungsstrom zu modellieren. Zwar verzinst sich das Darlehen entlang des Zahlungsstroms mit einem effektiven Satz, den Zahlungsstrom reproduziert dagegen nur der Nominalzinssatz. Und auch, soweit es um die Wiederanlage der vorzeitig erhaltenen Darlehensvaluta ging, lag der BGH richtig: Die einzelnen ausfallenden Zins- und Tilgungsleistungen können nur durch laufzeitkongruente Wiederanlagen, deren Anlagezeitraum jeweils dann endet, wenn die einzelne Rate fällig wird, ausgeglichen werden: Staffelzinssätze anstelle eines einheitlichen Wiederanlagezinssatzes. Die finanzmathematischen Haare waren damit weitgehend aus der Suppe!

Noch zu weiteren Details der Berechnungen bezog der BGH Stellung:

  1. Entgegen der noch in den beiden Grundsatzurteilen vom Juli 1997 gehegten Auffassung, daß als Wiederanlagemöglichkeit nur die Öffentlichen Anleihen heranzuziehen sind, äußerte sich der BGH nunmehr dahingehend, daß im Falle der abstrakten Schadensberechnung eine Anlage in Hypothekenpfandbriefen zu erfolgen habe. Als Begründung wird angeführt, daß der Vergleich zu den veröffentlichten Renditen Öffentlicher Anleihen nur solange das rechtmäßige Maß der Vorfälligkeitskalkulation darstellen konnte, wie die tatsächlichen Wiederanlagemöglichkeiten der abgelösten Institute Renditen in Höhe von öffentlichen Kapitalmarkttitel erwirtschafteten. Stattdessen hätten sich jedoch die Renditen von Hypothekenpfandbriefen und Öffentlichen Anleihen zwischenzeitlich erheblich auseinanderentwickelt. Damit sei es letztlich Folge eines „unsensiblen Beharrens auf vermeintlich sicheren Rechtspositionen“ seitens der Kreditwirtschaft, was den BGH dazu veranlaßte, zugunsten betroffener Darlehensnehmer zu intervenieren und die Vorfälligkeitskalkulation neu zu definieren.
  2. Der Abschlag für entfallende Risikovorsorge sei nach den Risiken des konkreten Vertrags gemäß Â§ 287 ZPO zu schätzen. Diesem sei durch einen prozentualen Abschlag Rechnung zu tragen. Die in dem Urteil genannten jährlichen Sätze von 0,014 % bis 0,06 % des jeweils geschuldeten Kapitals wurden als Ergebnis tatrichterlicher Feststellung untergeordneter Instanzen referiert.
  3. Anders als häufig nach den ersten beiden Urteilen aus dem Jahr 1997 praktiziert sollten die ersparten Verwaltungskosten nicht länger durch einen prozentualen Abschlag von der Darlehenssumme erfaßt werden, sondern als fester jährlicher Betrag unabhängig von der gewährten Darlehenssumme.
  4. Die gleiche Feststellung wurde in bezug auf die Bearbeitungskosten für die Ermittlung der Zinsentschädigung getroffen.
Autor
Prof. Dr. Klaus Wehrt
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